Schweizer Grenze: Weiler Bundespolizei hat Anfang 2018 illegale Einreisen häufiger gemeldet – obwohl es weniger wurden

Die Bundespolizei in Weil am Rhein hat im ersten Halbjahr 2018 um ein Vielfaches mehr Pressemitteilungen veröffentlicht als auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung. Die Badische Zeitung hat erstmals mehr als 28.000 Meldungen aus ganz Deutschland ausgewertet. Der Fall scheint einmalig. Was hat die Bundespolizei damit bezweckt?

Die Flüchtlinge haben die Grenze mit der Basler Tram überquert, sie saßen in Reisebussen oder kamen zu Fuß: Wer in den ersten Monaten des Jahres 2018 die Pressemitteilungen der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein verfolgt hat, könnte denken, die Zahl der Menschen, die an der Schweizer Grenze unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist sind – also ohne einen Aufenthaltstitel – sei stark angestiegen.

Nur: Sie ist es nicht. Eigentlich ist sie laut Bundespolizei gesunken, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 26 Prozent. Das erfährt aber nur, wer die einzelnen Pressemitteilungen im Zusammenhang betrachtet. Das Vorgehen der Bundespolizei lässt sich hier höchstens im Nachhinein beurteilen, mit großem zeitlichem Abstand, wenn sie ihre Bilanzen herausgibt. "Wir bitten um Verständnis, dass Statistiken zum Deliktsfeld der unerlaubten Einreise seit 2018 nur noch quartalsweise veröffentlicht werden können", teilt sie inzwischen mit, wenn man nach genaueren Zahlen fragt.

Fast viermal so viele Pressemitteilungen im ersten Halbjahr 2018 wie zur Hochzeit der Fluchtbewegung in Weil am Rhein

Eine Analyse der Badischen Zeitung zeigt: Im ersten Halbjahr 2018 hat die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein fast viermal so viele Pressemitteilungen ins Netz gestellt wie im zweiten Halbjahr 2016, als dort mehr Flüchtlinge als zu jedem anderen Zeitpunkt unerlaubt über die Grenze kamen.

Schreibt eine Dienststelle der Bundespolizei mehr Mitteilungen, werden diese auch häufiger weiterverbreitet. Im Netz sind sie für jedermann zugänglich, Privatleute teilen sie bei Facebook. Manche Website, wie Focus Online, die viele Menschen in ganz Deutschland erreicht, veröffentlicht sie ungeprüft.

Auch regionale Medien haben auf die Meldungsflut an der Schweizer Grenze reagiert. Im SWR etwa warnte die Bundespolizei in der ersten Jahreshälfte vor Migranten, die Mitfahrzentralen nutzten. Die Deutsche Presseagentur schrieb über Menschen, die auf der Ladefläche von Güterzügen einreisten. Der Südkurier widmete dem Grenzschutz eine ausführliche Reportage. Auch die Badische Zeitung berichtete mehrfach und intensiv über die Arbeit der Weiler Bundespolizei.

Die BZ hat mehr als 28.000 Polizeimeldungen analysiert

Um zu verstehen, was in Weil am Rhein zu Beginn dieses Jahres geschehen ist, hat die BZ nun erstmals 28.702 Pressemitteilungen aus ganz Deutschland ausgewertet, die die Bundespolizei von Januar 2015 bis September 2018 über die Website Presseportal.de veröffentlicht hat – einer Plattform, über die Behörden und Unternehmen Meldungen veröffentlichen, damit Medien darauf zugreifen können.

Diese Pressemitteilungen wurden zudem maschinell auf bestimmte Schlagworte untersucht – wie "Aufenthaltsgesetz", "Asylbegehren" oder "Erstaufnahme" – mit dem Ziel, herauszufinden, wann es sich vermutlich um eine Meldung zu unerlaubten Einreisen handelt.

Die Bundespolizei wurde mit den Ergebnissen konfrontiert und um eine Einschätzung gebeten. Man führe "keine Statistik zu veröffentlichten Pressemitteilungen", lautete ihre Antwort. "Aus diesem Grund können wir eine von Dritten erhobene Statistik nicht kommentieren." Die Auswertung der Meldungen zeigt trotzdem etwas Kurioses: Die Pressearbeit in Weil am Rhein hat sich zum Jahresbeginn 2018 komplett gewandelt.

Meldungen zu unerlaubten Einreisen hatten im Rekordjahr 2016 demnach zudem nur rund 13 Prozent aller Weiler Veröffentlichungen ausgemacht. Im ersten Halbjahr 2018 waren es ganze 41 Prozent.

Offenbar existieren keine zentralen Vorgaben, wozu und wie häufig eine Bundespolizeiinspektion Pressemitteilungen zu schreiben hat. "Die Auswahl der zu veröffentlichenden Sachverhalte mit regionalem Bezug treffen die Bundespolizeiinspektionen grundsätzlich selbst", teilt das Bundespolizeipräsidum Potsdam auf Anfrage mit. Die Pressearbeit solle dort geschehen, "wo die Vorfälle passieren".

Weil am Rhein hat im ersten Halbjahr mehr Meldungen veröffentlicht als ganz Bayern

So haben Mitarbeiter in Weil am Rhein im ersten Halbjahr 2018 ungefähr 29 Prozent aller Bundespolizei-Pressemitteilungen zum Thema unerlaubte Einreise verfasst. In der zweiten Jahreshälfte 2017 waren es etwa 6 Prozent.

Unter anderem zeigt die Analyse: Die Bundespolizei hat in Weil am Rhein über Presseportal.de im ersten Halbjahr 2018 insgesamt mehr Meldungen veröffentlicht als im gesamten Freistaat Bayern. Und das, obwohl dort in diesem Zeitraum laut Zahlen der Bundespolizeidirektion München fast sechsmal so viele unerlaubte Einreisen gemeldet wurden wie im Weiler Zuständigkeitsbereich. "Der Brennpunkt unerlaubter Einreisen lag erneut an der deutsch-österreichischen Grenze", betont die Bundespolizei etwa in ihrem aktuellen Jahresbericht 2017, den sie im November veröffentlicht hat.

Auffällig ist auch: Vier von fünf der Weiler Meldungen zu unerlaubten Einreisen im ersten Halbjahr 2018 scheinen denselben Autor zu haben. Insgesamt 307 Mitteilungen aus diesem Zeitraum tragen den Namen des Beamten, der schon seit 2009 in der Inspektion arbeitet. Im gesamten Vorjahr waren es gerade mal 23.

Ob es in Weil am Rhein zum Jahreswechsel konkrete Veränderungen bei den Aufgaben in seiner Abteilung gegeben hat, will die Bundespolizei nicht sagen. Die Verteilung in der Pressestelle werde "kontinuierlich" überprüft. Angeordnet habe die abrupte Zunahme von Meldungen aus Weil am Rhein allerdings niemand.

Was führte zu dem Anstieg?

Eine Sprecherin der dortigen Inspektion begründet das Phänomen auf Anfrage der BZ zunächst mit einer "Häufung von Migration zu Beginn dieses Jahres". Wenn es diese gab, schlägt sie sich nicht in der offiziellen Statistik nieder: Im Januar und Februar hat die Inspektion pro Tag im Schnitt 7,05 unerlaubte Einreisen festgestellt, in den beiden Monaten zuvor waren es noch 7,44 gewesen. Das geht aus Antworten auf frühere Anfragen der BZ hervor, als die Bundespolizei noch präzise Monatszahlen herausgegeben hat.

"Die Anzahl der Pressemitteilungen wurde dem öffentlichen Interesse angepasst."

Bundespolizeidirektion Stuttgart

Mit diesem Widerspruch konfrontiert, begründet die für Weil am Rhein verantwortliche Bundespolizeidirektion Stuttgart den Anstieg anders: "Die Anzahl der Pressemitteilungen wurde dem öffentlichen Interesse angepasst." Dies entspräche auch der Linie, die das Bundespolizeipräsidium Potsdam vorgibt.

Aus Stuttgart heißt es weiter: "In den ersten Monaten des Jahres 2018 gab es im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein ein stark ansteigendes Medieninteresse am Themenkomplex der unerlaubten Migration." Gelegen habe das vor allem daran, dass Menschen unter Lebensgefahr mit Güterzügen eingereist sind.

Doch die Auswertung der BZ weckt Zweifel an dieser Erklärung. Von Januar bis März 2018 gab es offenbar nur fünf Weiler Pressemitteilungen zur sogenannten Güterzugmigration. Erst ab April scheint diese eine größere Rolle gespielt zu haben, als die Inspektion neun Mitteilungen dazu veröffentlicht hat.

Das erhöhte Meldungsaufkommen wurde aber bereits in der dritten Januar-Woche deutlich. Dann nämlich hat die Inspektion insgesamt 24 Pressemitteilungen in das Internetportal gestellt – und damit mehr als jemals zuvor.

Zeitgleich hat auch die Anzahl von Pressemitteilungen zu Vorfällen zugenommen, die überhaupt nichts mit der benannten "unerlaubten Migration" zu tun haben. Die Bundespolizei liefert dafür keine Erklärung.

Folgen für das Sicherheitsgefühl

Wie die abstrakte Berichterstattung, die auf Statistiken beruht, könnten sich auch die auf einzelne Fälle bezogenen Polizeimeldungen auf das Sicherheitsgefühl des Lesers auswirken, sagt der Polizei- und Sicherheitsforscher Bernhard Frevel. Konkret zum Weiler Fall will sich der Professor der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen nicht äußern.

"Wir können feststellen, dass die Diskussion über Flucht in den vergangenen Jahren eng verknüpft wurde mit einer Gefährdung durch Kriminalität."

Bernhard Frevel, Polizei- und Sicherheitsforscher

Frevel sieht die gesellschaftliche Debatte aber nicht nur durch Fakten, sondern auch durch deren Bedeutungsrahmen beeinflusst. "Wir können feststellen, dass die Diskussion über Flucht in den vergangenen Jahren eng verknüpft wurde mit einer Gefährdung durch Kriminalität."

Die Sicherheitsbehörden müssten sachlich berichten und Medien mit diesen Informationen wiederum verantwortungsvoll umgehen. "Sie sollten selbstkritischer sein und diese Verknüpfung von Grenzübertritten und Kriminalität nicht übermäßig betonen."

Tausende neue Stellen für die Bundespolizei

Den Zusammenhang zwischen dem Grenzschutz und einer Gefahr für die Gesellschaft spricht im Herbst 2016 auch Thomas de Maizière an. Der damalige Innenminister kündigt an, die Bundespolizei stärken und neue Stellen schaffen zu wollen. "Alle haben in diesem Sommer die ernsthafte Sicherheitslage erlebt", sagt er. Er meint die Gefahr durch terroristische Anschläge.

In einem Entwurf für den Haushalt 2018, den die Regierung kurz vor der Bundestagswahl im Sommer 2017 vorlegt, sind aber zunächst keine weiteren Kräfte mehr vorgesehen. Erst bei den Verhandlungen zur Wiederauflage einer Großen Koalition Anfang des ersten Halbjahrs 2018 greifen CDU/CSU und SPD den Plan wieder auf. Im Koalitionsvertrag versprechen sie, 7500 zusätzliche Stellen bei den Sicherheitsbehörden des Bundes zu schaffen.

Wollte in der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein jemand mit dem schlagartig angestiegenen Meldungsaufkommen zu Beginn des Jahres auf eine Notwendigkeit neuer Stellen hinweisen? Die Bundespolizei teilt dazu mit: Zwischen den Mitteilungen und dem Personalbedarf gebe es keinen Zusammenhang.

Ab Mai hat die Inspektion jedenfalls wieder deutlich weniger veröffentlicht – und wieder soll niemand dies angeordnet haben. Gelegen habe das daran, dass die Fälle unerlaubter Einreisen im dritten Quartal seltener geworden sind.

"Zudem gab es eine Stagnation im Bereich der Güterzugmigration", schreibt die Direktion. Zuvor hatte eine Sprecherin der Inspektion Weil am Rhein aber längst mitgeteilt, Güterzüge seien bis Mitte Juli "vermehrt zur unerlaubten Einreise" genutzt worden. Jene Entwicklung kann deshalb kaum ein ausschlaggebender Grund für die gesunkene Zahl von Pressemitteilungen gewesen sein: Diese lag bereits im Juni wieder auf dem viel niedrigeren Vorjahresniveau.

Auch Meldungen, die nichts mit unerlaubten Einreisen zu tun haben, sind ab Mai wieder seltener geworden – dem Monat, in dem die gerade gebildete Bundesregierung ihren neuen Entwurf für den Haushalt 2018 vorgelegt hat und damit den wichtigsten Schritt unternahm, um ihr Vorhaben für die Sicherheitsbehörden in die Tat umzusetzen.

2877 neue Bundespolizei-Stellen sind für dieses Jahr eingeplant, inzwischen 2368 weitere für 2019. Die Ausbildung der neuen Kollegen solle nach und nach erfolgen, über einen Zeitraum von mehreren Jahren, teilt die Stuttgarter Direktion mit. Das Polizeipräsidium Potsdam werde schließlich darüber entscheiden, wie viele von ihnen nach Weil am Rhein kommen.

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